Wie wär’s mit einem neuen Image?

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Sini Tripkovic . On-Air Design

Von einer irren Idee, die beim genaueren Hinsehen, richtig Charme hat: Die Stadt der Moderne wird die Stadt des achten Weltwunders. (von Mirko Wachsmuth)

Denken wir doch mal in Superlativen. Dann steht mit dem Karl-Marx-Monument die größte Porträtbüste der Welt in Chemnitz. Einige Gehminuten weiter geht es auf den Kaßberg, einem der größten zusammenhängenden Gründerzeit- und Jugendstilviertel Europas. Und im Kulturkaufhaus DAStietz bringen die weltweit beachteten versteinerten Bäume des Naturkundemuseums den Betrachter zum Staunen. Die Wirtschaft wächst, die Stadt hat einen ausgeglichenen Haushalt und Geld. Chemnitz ist kein schlechter Ort zum Leben und Besuchen, ist attraktiver als mancher auf den ersten Blick vermutet. Diese Trümpfe besser auszuspielen, ist allerdings das große Problem der Kommune. Und nicht nur das. Der wahrscheinlich größte Schatz liegt wortwörtlich unter der Stadt begraben und wird bis zum heutigen Tag von der Kommunalverwaltung mit eiserner Konsequenz ignoriert. Nur im Lichthof des Kulturkaufhauses lässt sich ein Bruchteil von dem betrachten, weswegen andere neidisch nach Sachsen blicken. Die Rede ist vom Versteinerten Wald. Diese weltweit einmalige Attraktion fristet ein Schattendasein, dass jeder nur den Kopf schütteln kann. Das Stadtmarketing hingegen wechselt die Chemnitzer Außendarstellung wie ein Chamäleon seine Farbe. Einmal Universitätsstadt, dann Tor zum Erzgebirge, schnell zur Sportstadt, dann kreativ zur InnovationsWerkStadt, um nun als Stadt der Moderne zu glänzen.Bei einer Onlineumfrage der Chemnitzer CDU zur Beschriftung der braunen Autobahnwerbetafeln kam es aber an den Tag. Der Sieger war der Versteinerte Wald, das einzig hundertprozentige Alleinstellungsmerkmal der Stadt.

Dem grandiosen Fund wird außerhalb der Stadt- und Landesgrenzen mehr Aufmerksamkeit zuteil als direkt vor Ort. Ein unglaublicher und nicht akzeptabler Zustand, schließlich ist er das größte und schwerste Fossil Europas. Dank seines hohen geologischen Alters von 290 Millionen Jahren und seiner einmaligen Detailerhaltung nimmt er eine weltweit herausragende Stellung ein. Der Vulkanausbruch im Zeitalter des mittleren Perm, als die Landmasse zum Superkontinent Pangaea vereint war und die Dinosaurier die Erde noch nicht beherrschten, hat ein einmalig umfassendes Abbild urzeitlicher Fauna und Flora geschaffen. All das scheint die Stadt, genauer gesagt das Rathaus, nicht sonderlich zu interessieren. Möglich ist auch, dass sie in den Amtsstuben vom international beachteten Chemnitzer Schatz keinen blassen Schimmer haben. So wurde beim Aufstellen der Autobahnwerbetafeln für den Slogen „Stadt der Moderne“ entschieden, was wohl keinen von der Schnellstraße in die Stadt lockt. Laut CMT-Chef Michael Quast ist ein Hinweis auf den Versteinerten Wald in Bezug auf das hohe Durchschnittsalter der Chemnitzer Einwohner aber nicht sehr passend. Dazu kein Kommentar. Dass aber genau dieses Ausstellungsstück des Naturkundemuseums die Kriterien für ein UNESCO-Welterbe erfüllt, ist inzwischen von offizieller Seite verifiziert. Der Anstoß dazu kam, wie könnte es anders sein, nicht aus Chemnitz. Bei einer Tagung in Griechenland wurde Museumschef Dr. Ronny Rößler darauf angesprochen. „In Arizona werden aus ähnlichen Fundorten wahre Kultstätten gemacht, und das mitten in der Wüste“, erzählt er mit leicht neidischem Unterton. Ein UNESCO-Mitarbeiter fragte ihn, warum in Chemnitz nichts aus der viel bedeutenderen Fundstätte gemacht werde. Wenn der Mann gewusst hätte, dass der Museumsdirektor allein für das gerade angebrachte Werbebanner am Tietz ein Jahr lang kämpfen musste, hätte er sich die Frage wohl verkniffen.

Foto: Möckel
Vier für Chemnitz: Ronny Rößler, Mark Elsner, André Donath und Markus Wolf wollen dem versteinerten Wald die Bedeutung zukommen lassen die ihm gebührt

Kein Wunder also, dass Rößler mittlerweile deprimiert ist. „Ich renne immer wieder Türen ein, aber seit zwölf Jahren erlebe ich eine gewisse Ignoranz“, lautet sein momentanes Fazit. Immerhin tut sich jetzt etwas mit und für den fossilen Stoff. Im Frühjahr 2008 findet eine internationale Tagung in Bonn statt, und die Teilnehmer werden eine Exkursion nach Chemnitz unternehmen. Das ist die Gelegenheit, die Werbetrommel für ein großes Projekt zu rühren, welches den Versteinerten Wald in das wohlverdiente Licht rücken soll. In nicht all zu ferner Zukunft soll auf einem etwa zwei Fußballfelder großen Areal die Erde geöffnet werden, um den faszinierenden Untergrund zu zeigen. Denn laut Fachleuten und Nachforschungen ist der Stadtteil Hilbersdorf mit seinem teilweise ungenutzten Bahngelände voll mit derlei Fossilien. „Um das Gelände verhandeln kann ich mit der großen Bahn aber nicht. Das müsste offiziell die Stadt tun“, gibt der Museumschef zu bedenken. Deshalb soll eine Probegrabung auf einem Grundstück an der Frankenberger Straße, landwärts nach der Flora-Apotheke, noch einmal amtlich belegen: Wir leben auf einem ungeahnten Schatz. Und den wollen Ronny Rößler und seine Mitstreiter den Exkursionsteilnehmern der Fachtagung als Highlight präsentieren und sagen: „Seht hier genau wie alles wuchs!“ Dem Wald soll möglichst bald die Aufmerksamkeit zuteil werden, die ihm gebührt. Die seit der Waldschlößchenbrücke beim Thema Welterbe sehr empfindlich reagierende Landeshauptstadt Dresden möchte Ronny Rößler mit einem alleinigen, neuen Kandidaten aus Chemnitz verschonen. „Viel mehr Chancen hat das Projekt, wenn wir es in die Montanregion Erzgebirge einbinden und damit beide Seiten stärken“, erläutert er. Für dieses Vorhaben wird er von Fachleuten der TU Bergakademie Freiberg unterstützt.

Wenn alles so läuft wie geplant, gehört der Wald auf die „Checkliste“ der japanischen Touristen

Neben dem engagierten Museumsdirektor gibt es zum Glück auch andere Chemnitzer, die den Wert des fossilen Stadtwaldes erkannt und sich zu einer Initiative zusammengeschlossen haben. André Donath ist einer von ihnen. „Als Betreiber des Café Moskau hatte ich die versteinerten Bäume jahrelang vor der Nase“, sagt er und setzt fort: „Als die steinernen Zeugen für immer in Richtung Kulturkaufhaus verschwanden, war ich nicht sehr begeistert.“ Schließlich hatte der Gastronom eine der wenigen Attraktionen verloren, für die ein paar Neugierige vom Rathaus weg bis hin zu seinem Café liefen. Von den Plänen des Museumsdirektors hat André Donath durch einen Zeitungsartikel erfahren. Zur gleichen Zeit überlegte er mit Freunden, was man für Chemnitz tun könnte. In dieser Konstellation kam ihm die Idee. Warum den Wald nicht wieder hinstellen, anstatt ihn einfach nur liegen zu lassen? Das könnte eine Jahrhundertchance für die Stadt werden. „Für mich geht es erst einmal darum, die Idee bekannt zu machen. Alles andere sind noch Träume“, tritt André Donath trotz aller Begeisterung und Ernsthaftigkeit auf die Euphoriebremse. Wenn aber alles so läuft wie geplant, gehört der Wald auf die „Checkliste“ der japanischen Touristen – davon ist André Donath überzeugt. Zum Publizieren der ebenso verrückten wie genialen Idee wird ein von engagierten Bürgern bezahlter Werbespot produziert. Die einminütige 3D-Animation „Was könnte sein“ wird deutschlandweit an die wichtigsten Medien versandt, um das Projekt zum Weltnaturerbe vorzustellen und die Fantasie mit einem Spaziergang durch einen 290 Millionen Jahre alten Wald anzuregen. Begleitet wird dieser geniale Streich von einer offiziellen Pressemitteilung. Zu den Kosten des Projektes haben André Donath und Gleichgesinnte ganz praktische Ansichten. „Was kostet das Abtragen der nicht allzu dicken Erdschicht im Vergleich zu anderen Ausgaben im kulturellen und touristischen Bereich?“, lautet ein nicht von der Hand zu weisender Vergleich. „Der Mensch ist schon vor langer Zeit zum Mond geflogen. Dann muss doch eine Konservierung verkieselter Bäume möglich sein“, denkt André Donath bereits laut an die nächste Herausforderung. Eine Möglichkeit, um Teile der Kosten abzufangen, ist der Verkauf von kleinen, 290 Millionen Jahre alten Fundstücken. Mit hochwertigem Souvenir professionell umgesetzt, könnte diese Idee eine permanente Werbe- und Einnahmequelle werden. Sollte das Projekt, wie in den Köpfen der Erfinder gedacht, in naher Zukunft realisiert werden, besteht für Chemnitz eine große Chance, auf dem Globus der weltweit beachteten Attraktionen wie Phönix aus der Asche wieder zu erstehen. Vielleicht werden Touristen dann nicht nur 15 Minuten mit dem Bus über den Kaßberg fahren. Nein, für Gunzenhausers Sammlung und den Versteinerten Wald lohnt es sich dann auch, über Nacht zu bleiben. „Schon allein wenn Chemnitz in die Medien kommt, hebt sich das Selbstwertgefühl der Einwohner deutlich“, denkt André Donath an und über seine Stadt. Wie recht er da hat. Vielleicht weckt die Initiative engagierter Bürger auch die Stadt aus ihrem Waldschlaf. Chemnitz hat es verdient.

(Foto: Möckel)