Zwischen Guernica und Chemnitz

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In Chemnitz wird wieder demonstriert: Verschiedene Gruppierungen machen mobil gegen den drohenden Krieg im Irak – so auch ATTAC. Ein Bericht über Globalisierungsgegner und ihre Reise für den Frieden.

Wer die Nachrichtenbilder der letzten Wochen aufmerksam verfolgte, konnte sie nicht übersehen: kleine Reproduktionen eines Picasso-Werkes. Auf Plakaten und Schildern, inmitten von tausenden Menschen. Die Rede ist von seinem 1937 entstandenen Bild „Guernica“. Ein Bild, das anklagt. Entsetzten, Betroffenheit und Trauer demonstriert. Mensch und Tier sind schreiend vereint. Picasso zeichnete das monumentale Gemälde nach den Luftangriffen auf das spanische Städtchens Guernica durch die Faschisten. Und heute ist es wieder zum Symbol geworden. Eine Reproduktion des Bildes hängt in Manhattan, in der zweiten Etage des Gebäudes der Vereinten Nationen. Dort, wo der Sicherheitsrat tagt. Doch am 5. Februar, als Colin Powell die Kriegs-pläne seiner Regierung bekanntgab, wurde es mit einem großen blauen Tuch überhängt. Wie die „Financial Times“ berichtete, hätten „die Regisseure der UNO diesen Hintergrund als unpassend empfunden.“ Doch warum? Zielt Picassos Anklage auch auf den Irak-Krieg? Friedensgruppen weltweit scheinen eine klare Antwort zu kennen. So auch ATTAC, eine Vereinigung unterschiedlicher Menschen und Organisationen weltweit. 1998 in Frankreich gegründet, steht der Name für Association pour une Taxation des Transactions financieres pour e’Aide aux Citoyens. Wörtlich entspricht das der Vereinigung für eine Besteuerung von Finanztransaktionen zum Wohle der Bürger und Bürgerinnen. Zunächst scheint dies entfernt von Picasso oder dem Irak. Doch da sie sich für soziale und ökologische Gerechtigkeit im Globalisierungsprozess einsetzten, ist die Frage des Friedens auch für sie zentral. Im Krieg ist eine gerechte Welt gar nicht möglich. „Aber Globalisierung ist Krieg!“ meint Mathias, Mitglied der Chemnitzer ATTAC-Gruppe. Eine Argumentation, der sicherlich nicht jeder folgen wird. Denn Globalisierung lässt sich zunächst im allgemeinen Sinne des Wortes als Prozess zunehmender, die nationalen Grenzen überschreitender und schließlich den ganzen Globus umspannender Austausch verstehen. Die Vorgänge beziehen sich auf wirtschaftliche, politische und kulturelle Bereiche, aber eben auch auf ökologische und ideologische Wechselbeziehungen inklusive aller Risiken. Und diese Nebenwirkungen stellen gleichsam die Gerechtigkeit und die Gleichheit der Menschen in Frage. So gibt es also eine Anti-Bewegung zur Globalisierung, der sich ATTAC verpflichtet fühlt. Dem Wissenschaftler K. Polanyi folgend, trete mit der Globalisierung das Wirtschaftssystem an die erste Stelle. Die Gesellschaft werde zu einem „Beiwerk des Wirtschaftssystems“ degradiert. Und genau dieser Entwicklung einer vom Kapital dominierten Globalisierung will ATTAC entgegenstehen. Denn sie werde die Kluft zwischen Nord und Süd, Arm und Reich immer tiefer reißen. Außerdem gehe es innerhalb der Globalisierung auch um die Ausweitung amerikanischer Interessen auf die ganze Welt. Genau da sei der Irak-Krieg einzuordnen.

Seit November 2001 gibt es auch in Chemnitz eine ATTAC-Gruppe gegen „neoliberale Globalisierung und für eine solidarische Weltwirtschaft“. Ein Ziel ist der Kampf gegen das GATS, ein Dienstleistungsabkommen der Welthandelsorganisation WTO. „Beim GATS geht es um die Privatisierung öffentlicher Aufgaben wie Schule oder Renten- und Krankenkassen. So gab es die Aktion ,Haifischalarm im Gesundheitswesen‘ auf dem Rathausplatz, wo wir unsere Haltung gegen eine Zwei-Klassen-Medizin auf künstlerische Art und Weise zum Ausdruck brachten. Die Passanten zeigten allerdings nicht sehr großes Interesse. Viele gingen einfach weiter“, berichtet Einde O’Callaghan, ATTAC- Mitglied in Chemnitz. Bei dem aktuellen Antikriegseinsatz sei das jedoch ganz anders, fährt der Englischlehrer fort. Er engagiert sich mit einigen anderen in der Initiative gegen den Irak-Krieg und organisiert beispielsweise Aktionsstände in der Chemnitzer Innenstadt. „Diese fungieren als Anlaufpunkt für Fragen rund um den Krieg und werden von den Chemnitzern sehr gut angenommen.“ Dabei finanziert sich die Gruppe, bestehend aus Menschen ganz unterschiedlichen Alters und verschiedenster Berufe, durch Spenden. „Eine eigene feste Räumlichkeit oder ein Büro können wir uns nicht leisten, aber jeden vierten Dienstag im Monat treffen wir uns bei ver.di im Gewerkschaftshaus“, erzählt O’Callaghan weiter. Ein Zusammentreffen, das auch für Interessierte offen sei. So fand dort am 21. Januar eine Veranstaltung im Rahmen der ATTAC-Friedenstour statt. Sie bot die Möglichkeit, mit Aktivisten aus den USA und Deutschland zu diskutieren. In Verbindung mit der Friedenstour war ein Teil der rund 50 Chemnitzer Mitglieder zur Demonstration am 8. Februar aktiv: zum einen für Demokratie und Menschlichkeit, zum anderen um für die weltweite Friedensdemonstration am 15. Februar in Berlin zu mobilisieren.

Ein Zeichen für den Frieden

Der 15. Februar begann sehr früh. Gegen 6 Uhr trafen sich rund 30 Männer und Frauen am Chemnitzer Omnibusbahnhof. Sie alle waren ATTAC und dem Aufruf des europäischen Sozialforums gefolgt und wollten am europäischen Aktionstag „Nein zum Krieg gegen den Irak“ teilnehmen. Der Bus Nummer zwei war für sie gebucht: drei ATTAC-Mitglieder, Studenten, Rentner und interessierte Chemnitzer, die ein Zeichen für den Frieden setzten wollten. Nach einigen Unklarheiten, Diskussionen um die Organisation und der Bezahlung fehlender Startgebühren von 15 Euro ging es mit etwas Verspätung los. Auch die Fahrt bis Berlin blieb wegen des frostigen Wetters nicht ohne Komplikationen. Ein quer über die Fahrbahn liegender Laster, zahlreiche Autos die rechts und links der Fahrbahnen lagen, Blaulicht, Glätte und Waschküchenwetter blieben ständige Wegbegleiter. 10 Uhr war das Ziel dann gesund aber nicht unbedingt munter erreicht. Viel zu früh, denn die Demonstration sollte erst um 12 Uhr losgehen. Vereinzelte Demonstranten mit Fahnen waren zwar schon sichtbar, doch noch waren die Kamerateams der Fernsehanstalten in der Überzahl. So wurde alles gefilmt, was sich bewegte. So auch die Ankunft des Chemnitzer Busses. Torsten Mayer, Mitglied der hiesigen ATTAC-Gruppe, hatte also schon vorab die Gelegenheit zum öffentlichen Bekenntnis. Dann aber ging es los: schnellen Schrittes zum Kundgebungsbeginn am Breitscheid-Platz. Menschenmassen, Polizei, erneut Kameras und Schneeregen boten ein kraftvolles Bild. Die Stimmung beeindruckte und überwältigte zuweilen. Menschen aller Generationen, verschiedener Nationalitäten, unterschiedlicher gesellschaftlicher Schichten, divergierender Modegruppen. Sie alle verschmolzen zu einer für den Frieden demonstrierenden Masse. Die Friedensbewegung hatte ein Gesicht. Durch die Lautsprecher dröhnten die Forderungen und Wünsche, Hoffnungen und Ängste. Kinder saßen auf den Schultern ihrer Väter, hielten Schilder mit Friedensbotschaften. Hunde liefen neben ihren Herrchen, ruhig und bedächtig, als würden sie genau spüren, was das Ziel ihres Spaziergangs war. Kaum war eine halbe Stunde vergangen, wurde bekannt, dass der Alexanderplatz zu voll und der Demonstrationszug bereits auf dem Weg zum gemeinsamen Treffpunkt an der Siegessäule war. Jubel und Freude brach aus. Doch nur langsam kam auch Bewegung in die Massen am Breitscheid-Platz. Inzwischen waren die eiskalten Füße nicht mehr zu spüren. Die Hände kamen einer Erstarrung nahe. Der Marsch bis zum Treffpunkt reichte für eine erneute Erwärmung nicht aus. Doch es hieß wieder Stehen, Nichtssehen und Drängeln – egal. Es gab schließlich Lautsprecher und die
Statements zahlreicher Prominenter. Unter ihnen Konstantin Wecker, Reinhard May, Walfriede Schmidt, Paddy Kelly, die Puhdys. Sie alle sangen oder sprachen sich gegen einen drohenden Krieg aus. Paddy Kelly rief zu einer Schweigeminute auf. Und es war unglaublich. Rund eine halbe Million Menschen schafften gemeinsam eine einzigartige Ruhe. Zwar gab es auch Redner, die deutlich machten, dass dieser Frieden nicht wahrer Frieden, sondern erzwungener sei. Aber jenen wurde genauso ein Podium gegeben wie denjenigen, die für den „wahren Sozialismus“ kämpften. Bis 16 Uhr fror auch die kleine Chemnitzer Gruppe und strömte, das Ende der Kundgebung erreicht, durch den Tiergarten in Richtung der anliegenden
Cafés. 19 Uhr ging es schließlich zurück nach Chemnitz: zwar müde, doch glücklich über die aktuellen Nachrichten: 500.000 Demonstranten in Berlin! Drei Millionen in Rom! Hunderttausende in Paris! 100.000 in New York! Insgesamt sollen es zehn Millionen Menschen weltweit gewesen sein, die an diesem Tage ein Zeichen für den Frieden gesetzt hatten. Und die Chemnitzer waren mittendrin. Ein gutes Gefühl. Dafür hatte sich alles gelohnt. Doch allen war gleichzeitig bewusst, dass der Krieg nicht abgewendet und ein Weitermachen unausweichlich ist. So gibt es regelmäßig auch in unserer Stadt wieder Montagsdemonstrationen. Außerdem findet am 5. März, genau 58 Jahre nach der völligen Zerstörung von Chemnitz im Bombenhagel, der Friedenstag statt. Eingebettet in eine ganze Woche voller Veranstaltungen unter dem Motto: Eine Stadt für den Frieden. Auch ATTAC ist wieder aktiv dabei. Denn ohne Frieden ist alles nichtig.

(Janine Brade)