Unter weiten Teilen der Chemnitzer Innenstadt tut sich geheimnisvolles. Pilze wachsen dort und die Neugier, was aus den alten Luftschutzbunkern im Untergrund geworden ist. Doch der Zugang ist untersagt. Und somit bleibt uns nichts anderes übrig als wild zu spekulieren. Oder Fachleute zu befragen.
Fahrräder und alte Kinderwagen lagern jetzt in diesem Keller unterm Keller. Der einst so überlegt eingerichtete Bunker unter dem Plattenbau unweit des Falkeplatzes ist längst zur Gerümpelkammer geworden – immerhin mit Lüftungsschacht und Notausstieg. Nur wenige Menschen interessieren sich noch für die einstigen Schutzräume, die in Zeiten des Kalten Krieges für unabdingbar galten. Jetzt verrotten sie. Massenhaft. Denn in der DDR wurden die unterirdischen Bauwerke zu hunderten, vielleicht tausenden errichtet. Für Parteifunktionäre, Gewerkschafter, Armee-Angehörige, Stasi-Mitarbeiter, Leistungssportler, Belegschaften großer Betriebe, die Polizei und letztlich auch fürs Volk. So gleicht auch manch Chemnitzer Areal im Untergrund einem Schweizer Käse. Die Innenstadt etwa, entlang der Theaterstraße. Der Fachmann erkennt die Zeichen der Vergangenheit schnell: an Erdhügeln, Abgasrohren, längs verbauten Ziegeln. Und wer noch immer meint, das brunnenähnliche Bauwerk an der Zufahrt zum Getreidemarkt führt zu einer Wasserquelle, der sei hier endgültig enttäuscht. Denn darunter befindet sich einfach nur ein schöner großer Bunker, einst Lagerstätte für Notstromaggregate der Verkehrsbetriebe.
Solche und ähnliche Erläuterungen ließen sich bei einem Rundgang durch Chemnitz wohl alle fünf Minuten einflechten, für echte Bunker-Fans ist die Stadt allerdings eher Ödland. Außer den üblichen Luftschutzeinrichtungen gibt’s kaum spektakuläres. Kein dreigeschossiger Honecker-Bunker wie in Brandenburg, keine unterirdische Produktionsstätte aus dem Zweiten Weltkrieg, allenfalls mal ein ehemaliges Krankenhaus im Untergrund mit OP-Saal und Behandlungsräumen. Trotzdem hat es ausgerechnet einen Chemnitzer voll erwischt.
Er liebt diese massiv gebauten Schutzräume – und er betreibt das umfangreichste Bunkerkataster im Internet. Das Portal bietet Aufklärung zu seltsamen Bodenöffnungen oder auch längst verrosteten Türen in der Nachbarschaft. Die Rätsel der Unterwelt werden nach und nach gelüftet, Geschichten aus der Vergangenheit gesammelt. Natürlich auch über unsere Breiten. Fasziniert von den Bauten, die Deckung bieten, Schutz, Geborgenheit ist die Neugier des Chemnitzers bald Passion geworden. Wobei es freilich streng verboten ist, ein solches Zeugnis der Vergangenheit zu betreten. Da sind die Gesetze eindeutig. Abgesehen davon wird das Abenteuer auch zunehmend gefährlich. Denn seit die Bunkeranlagen nicht mehr regelmäßig gewartet werden, gedeihen dort allerhand Pilzkulturen, die zumeist gesundheitsgefährdend sind, erklärt der Fachmann.
Der einzige offiziell zugängliche Bunker in Chemnitz ist seit Jahren schon Konzert-Saal und befindet sich am Rosenplatz. So oder so ähnlich sehen sie alle aus, diese Luftschutzeinrichtungen im Stadtgebiet: schlichte Zweckbauten unter einer meterdicken Erdschicht oder unter Wohnhäusern. Und jede Story von verborgenen Schätzen oder spektakulären Funden ist frei erfunden. Da unten ist nichts als eine seltsam aufregende Atmosphäre, manchmal kommen auch unsichtbare Gefahren dazu oder eben die Polizei. Viel spannender als Bunkerwände mit eigenen Augen abzutasten, sind aber die Phantasien von unterirdischen Räumen und ihrer ursprünglichen Funktion.