Chemnitz eine streitbare Heimat

collage

In diesen Jahr feiert der Stadtstreicher seinen 20. Geburtstag. Das sind 20 Jahre im Widerstreit, im Glaubenskrieg, mitten zwischen Pro und Kontra, mitten im hassgeliebten Chemnitz. Das ist nicht immer leicht gewesen – und es wartet auch in Zukunft kein gezuckertes Dasein. Aber immerhin: In dieser Stadt gibt es allerhand anspruchsvolle Menschen, die auf ihre Weise am positiven Image von Chemnitz arbeiten. Wir haben 20 von ihnen zum Für und Wider ihres Lebensmittelpunkts befragt.

Ingo Steuer (Eiskunstlauftrainer, Pixeleis)
Ingo Steuer (Eiskunstlauftrainer, Pixeleis)

Warum ist es wunderbar, in Chemnitz zu leben? Es ist einfach schön, in der Stadt, in der man geboren wurde, auch seine Erfüllung zu finden.

Was ist ein triftiger Grund, der Stadt den Rücken zu kehren? Zeitweilig würde ich nur aus beruflichen Gründen den Ort wechseln, was aber derzeit - und ich hoffe auch in Zukunft – nicht der Fall sein wird...
Ron Schindler (DJ, Phlatline)
Ron Schindler (DJ, Phlatline)

Warum ist es wunderbar, in Chemnitz zu leben? Chemnitz ist meine Heimat. Ich habe hier meine Familie, Freunde und Freundin – das macht es für mich in allererster Linie so besonders und wunderbar. Genau die Mentalität der Menschen, die auch sehr gerne mal meinen Blutdruck rasen lässt, macht die Stadt auf der anderen Seite so liebenswert.

Was ist ein triftiger Grund, der Stadt den Rücken zu kehren? Ich bin durch das Auflegen oft unterwegs in anderen Städten und Ländern und habe dadurch ab und zu ein bisschen Abstand zu meiner Heimatstadt. Wenn das Reisen wegfiele, dann würde mich die Chemnitzer Tristesse mit Sicherheit woanders hintreiben. Gerade auf jugendkultureller Ebene ist es momentan absolut trostlos hier. Ich kann die Leute sehr gut verstehen, die Chemnitz den Rücken zukehren.
Nancy Gibson (Direktorin der Städtischen Musikschule Chemnitz)
Nancy Gibson (Direktorin der Städtischen Musikschule Chemnitz)

Warum lebe ich gerne in Chemnitz? Chemnitz ist eine Stadt, die sich, seitdem ich hier wohne (1992), stetig und positiv verwandelt hat. Sie ist eine Stadt voller bodenständiger, ehrlicher Bü̈rger. Wo sonst bekommt man einen Geldbeutel oder einen Schlü̈sselbund vollständig bei der Polizei zurü̈ck, wenn man diesen im Bus liegen lässt? Wo sonst trifft man Menschen aus allen sozialen Schichten im Konzert oder im Theater? In Chemnitz fährt man schnell und unkompliziert zur Arbeit, in die Natur oder in eine von vier Städten internationaler Bedeutung: Dresden, Leipzig, Berlin und Prag. Es gibt bei uns immer viel mehr Kulturangebot als ich wahrnehmen kann. Ich habe jeden Tag das Gefü̈hl, ich habe leider heute was Tolles verpasst.

Was macht mich in Chemnitz verrü̈ckt? Ich finde es wirklich gefährlich, in dieser Stadt Fahrrad zu fahren. Ich versuche nicht zu viel daran zu denken, wenn meine Kinder los fahren. Vielleicht ist das nicht nur ein Chemnitzer Phänomen, aber ich erlebe Chemnitzer als vorsichtig und gehemmt, wenn es um Änderungen, neue Wege etc. geht. Ich bin auch fü̈r das Bewährte, aber innerhalb bewährter Einrichtungen sollte man nicht so viel Angst vor Änderungen haben. Wandel ist Leben und am besten sieht man das positiv, weil Änderungen und Wandelungen kommen – so oder so. Ich finde es besser, neue Herausforderungen anzunehmen, statt sich dagegen zu stemmen.
Dietel-03 ein halbes jahrhundert in KARL-CHEMNITZ-STADT vor siebzig jahren war ich mit meinen eltern erstmals im 1945 zerbombten chemnitzer „Centraltheater“, seit 1961 nun lebe und arbeite ich in der stadt. „Wunderbar“ war es eher selten seither, verzweifelt war ich hier oft: so 1968 nach projektabbruch unseres legendären TRABANT-nachfolgers P 603 (Vor-Golf), durch die fremdinstallation des riesenkopfes 1972, über das emporstampfen des HECKERT-gebietes und gleichzeitigen verfall von sonnenberg, kaßberg in den achtzigern oder ob der abrißorgien der GGG an gründerzeitbauten ab 2004. aber - chemnitz hat auch viele vorteile, die mich und uns hier bleiben ließen. von den drei großen sächsischen städten ist unsere am offensten, sie ist moderner und nicht so verzopft wie dresden, weniger vom opportun-merkantilen hin- und her leipzigs geplagt und sie hat von den großen drei die schönste umgebung. als größter makel lastet latente technokratie auf der stadt, seit 1933 und zu DDR-zeiten sich wuchernd ausbreitend und bis heute noch nicht völlig getilgt. aber glück, freude und scheinbar wachsende flügel gab es für mich hier auch - als wir 1965 im museum die schau „Formgestaltung in Sachsen“ machten, zur eröffnung unserer GALERIE OBEN 1973, beim bau der STADTHALLE bis 1974, als 1985 in den kunstsammlungen trotz schweigegebot für die medien 47000 besucher in unsere ausstellung „suche nach gestalt unserer dinge“ kamen, zur eröffnung des industriemuseums 2003 und dort auch 2004/2005 anläßlich meiner werkschau "FAHRZEUGFORMEN". bleiben? weggehen? wer hier bleiben, leben und arbeiten will, sollte davor ohne wenn und aber für drei bis fünf, sieben jahre in andere deutsche länder oder besser noch ins ausland gehen - zum lernen, studieren, arbeiten und vor allem zum maßstabsgewinn. verändert, aufgeschlossener, hellsichtiger und weniger provinziell wird sie oder er von draußen dann chemnitz betrachten und zurückkommend doppelt tatkräftig ziele zu hause angehen. der blick von draußen wird auch klarer den spezifischen stadtcharakter mit großer geschichte und immer neu aufscheinender kreativität, fehlstellen wie unzureichend bebaute städtische mitte, die viel zu breiten straßen, chemnitz als „Tal der Ahnungslosen“ hinsichtlich des schienen-fernverkehrs und das schon historisch lange fehlen einer hochschule für visuell-ästhetische und andere musische bereiche wahrnehmen. er läßt erkennen, welch reiche kultur die über achthundertfünfzigjährige stadt doch hat und was es braucht, durch eigenes zutun frisches grün zum frühling eines neuen zeitalters für chemnitz wachsen zu lassen. karl clauss dietel p.s.: SVEN GLEISBERG fotografierte mich vor einem baum im eigenen garten: ihn pflanzte ich vor ca. vierzig jahren, ähnlich wie ca. fünfundzwanzig andere in der stadt.
Chefcoach der Niners
Loibl-01  
Was macht es wunderbar, in Chemnitz zu leben? Viele Dinge, die mir da einfallen: Schlaue Menschen, die nicht dick auftragen, Traditionen, die mich stolz machen, die grünen Wälder in der Stadt und das Erzgebirge vor der Tür.

Was ist ein triftiger Grund, die Stadt zu verlassen? Wenn sich die Stadtväter der Förderung unserer Zukunft - der Jugend - nicht bewusst werden. Wenn man die Sportförderung beispielsweise weiter vernachlässigt und damit echtes Potential verschenkt und große Chemnitzer Traditionen mit Füßen tritt. Dann würde mir das Herz bluten, denn der Überalterung unserer Stadt stände dann nichts mehr im Wege.
Jan Kummer (Künstler und  Atomino-Macher)
Jan Kummer (Künstler und
Atomino-Macher)

Warum ist es wunderbar, in Chemnitz zu leben? In Chemnitz wird ein meißnischer Großstadtdialekt gesprochen, der Einflüsse aus dem Vorerzgebirgischen aufweist. Dieser spezielle Zungenschlag wirkt auf Auswärtige abstoßend und Furcht erregend. Gut verdienende Menschen z.B. aus Bayern oder Schwaben zieht es deshalb eher in andere Städte. Eine ungezügelte Gentrifizierung durch gnadenlose Yuppies, wie sie andernorts zu erleben ist, droht in Chemnitz dadurch wunderbarerweise nicht.

Was ist ein triftiger Grund, der Stadt den Rücken zu kehren? Wenn die Freiheit von Chemnitz am Hindukusch verteidigt werden muss oder ich zum sächsischen Kulturattaché in Bogota berufen werde, sollte ich natürlich meine Koffer packen. Würden die Mullahs oder die Heilsarmee in Chemnitz einen fundamentalistischen Gottesstaat errichten, dann müsste ich auch der Stadt den Rücken kehren. Ich werde dann sicher nach Gotha oder Halle/Neustadt ziehen, dort habe ich Verwandtschaft.
Dr. Ulrike Uhlig Vorstandsvorsitzende der Internationalen Stefan-Heym-Gesellschaft e.V.
Dr. Ulrike Uhlig
Vorstandsvorsitzende der Internationalen Stefan-Heym-Gesellschaft e.V.

Als der Anruf kam vom Stadtstreicher habe ich spontan eine Antwort zugesagt, weil ich ihn einfach gern lese, vor allem die Rezensionen, die Ausstellungsbesprechungen. Nun sitz ich da vor meinem leeren Blatt und überlege…

Warum ist es wunderbar, in Chemnitz zu leben? „Wunderbar“ ist ja eine sehr hohe Messlatte. Chemnitz ist keine Metropole – Anonymität, Staus und Kriminalität halten sich in Grenzen. Chemnitz ist aber auch keine Kleinstadt – Uni, zwei Fraunhofer-Institute, Theater und Orchester sind hervorragend, das Museum am Theaterplatz seit Jahren aufsehenerregend, die kleinen Galerien bemerkenswert.
Als bei der Picasso-Ausstellung Menschenschlangen auf dem Theaterplatz standen, hat mich das richtig stolz gemacht. Auch die Eröffnung des „Gunzenhausers“ war so ein Glücksmoment für mich, der übrigens noch anhält. Die neue Mitte von Chemnitz gefällt mir mittlerweile gut, genauso die Spuren des Bauhauses, die an vielen Stellen zu finden sind. Umnutzung von Industriearchitektur wie Janssen- oder Schönherrfabrik sind für mich beispielhaft und geben Chemnitz ein eigenes Gesicht.
Das Wichtigste, um sich in einer Stadt wohl zu fühlen, sind für mich aber die Beziehungen zu Menschen, angefangen von Familie natürlich, Freunden, Kollegen, Mitstreitern. Wunderbar war für mich, dass ich 17 Jahre lang an der VHS den Kulturbereich gestalten durfte. Dabei sind mir so viele Menschen begegnet, die für Ideen zu begeistern waren, die mich unterstützt haben, die anregend waren. Ja, ich denke, Chemnitz ist gut für Netzwerke, es ist „übersichtlich“, man kennt sich.
Aber vielleicht ist auch gerade das der Grund, ab und an mal die Koffer zu packen. Ich kann mir übrigens keinen Ort auf der Welt vorstellen, der so faszinierend ist, dass man dafür nichts Neues, Fremdes mehr kennenlernen möchte.
Prof. Dr. Klaus-Jürgen Matthes (Rektor der TU Chemnitz)
Prof. Dr. Klaus-Jürgen Matthes (Rektor der TU Chemnitz)

Warum ist es wunderbar, in Chemnitz zu leben? Chemnitz ist eine ungeheuer spannende und moderne Stadt, in der sich in den 20 Jahren nach der friedlichen Revolution enorm viel verändert hat. Sie besitzt wieder eine pulsierende Innenstadt, in der sich nicht nur so mancher Traum renommierter Architekten zu unser aller Freude erfüllte und die viele Chemnitzer und Gäste zum Staunen bringt. Sie ist zudem wieder auf dem Weg zu einem viel beachteten Industrie- und Technologiestandort - auch dank der Nähe zu unserer Universität. In Chemnitz stimmen überhaupt viele Rahmenbedingungen - von der Kultur über den Sport, die für die Erholung so wichtigen grünen Plätze bis hin zu den zahlreichen familiengerechten Angeboten. Das zieht an - auch Studierende und Nachwuchswissenschaftler.

Was ist ein triftiger Grund, der Stadt den Rücken zu kehren? Diese Frage Jemandem zu stellen, der seiner Heimat Meerane und seiner Wirkungsstätte - der TU Chemnitz - so gut wie nie den Rücken zugewandt hat, ist etwas vermessen. Jedoch akzeptiere ich natürlich, dass junge Menschen, die bei uns studiert und gegebenenfalls promoviert haben, nach dem Studium anderenorts im In- oder Ausland ihre berufliche Zukunft suchen. Auch wenn es in Chemnitz zunehmend viele spannende Jobs gibt, wird nicht immer für alle das passende Angebot dabei sein. Jedoch sollten viele Akteure an einem gemeinsamen Strang ziehen, dass künftig möglichst viele junge Leute hier bleiben, in Chemnitz eine Berufsausbildung absolvieren oder studieren, einen Arbeitsplatz finden und eine Familie gründen - also der Stadt nicht den Rücken kehren.
Andreas Richter (Inhaber Gartenfachmarkt Richter)
Andreas Richter (Inhaber Gartenfachmarkt Richter)

Warum ist es wunderbar, in Chemnitz zu leben? Der Stadtstreicher feiert 2011 den 20. Geburtstag – und auch wir haben 2011 etwas zu feiern, nämlich das 125-jährige Firmenjubiläum der Gärtnerei Richter. Meine Urgroßeltern gründeten das Unternehmen am 06.08.1886 auf dem Chemnitzer Kaßberg, und dass ich es heute in vierter Generation führen kann, ist schon eine Teil meiner Antwort. Es ist für mich eine Herausforderung und Freude zugleich, ein Teil dieser langen Tradition zu sein und gemeinsam mit meiner Familie unseren Betrieb fortwährend den neuen Erfordernissen anzupassen. Aber es gibt noch viele Gründe mehr, warum es sich aus meiner Sicht in Chemnitz gut leben lässt. Wir haben eine grüne Stadt, dazu eine moderne City, in welcher sich viele kulturelle, gastronomische und architektonische Highlights finden lassen. Außerdem hat Chemnitz eine gesunde wirtschaftliche Basis, so dass für kommende Generationen eine gute Perspektive vorhanden ist.
Es ist jedoch auch noch manches zu tun, so etwa die bauliche Aufwertung unseres Stadteingangs oder die Revitalisierung des Brühls. Aber gerade weil noch nicht alles vollkommen ist und es noch Gestaltungsspielräume gibt, finde ich meine Heimatstadt lebens- und liebenswert.

Was ist ein triftiger Grund, der Stadt den Rücken zu kehren? Unsere Stadt hat ihr Gesicht in den zurückliegenden Jahren rasant verändert. Mir fällt das besonders dann auf, wenn ich auf Geschäftsreisen die Möglichkeit habe, den Vergleich zur Entwicklung vieler Städte in den alten Bundesländern zu ziehen. Einen Blick über den Tellerrand zu wagen und neue Erfahrungen zu sammeln, könnten ein Grund für das zeitweise Verlassen unserer Stadt sein, vielleicht sieht man bei der Rückkehr die Heimatstadt aus einer neuen Perspektive.
Beate Kunath (freischaffende Filmemacherin (lebt in Chemnitz und Berlin))
Beate Kunath (freischaffende Filmemacherin (lebt in Chemnitz und Berlin))

Warum ist es wunderbar, in Chemnitz zu leben? Ich habe Chemnitz immer als eine Stadt empfunden, in der ich bis zu einem gewissen Maß städtisches Leben mitgestalten kann. Dafür steht zum Beispiel meine Mitwirkung bei der Chemnitzer Filmwerkstatt seit schon fast 20 Jahren. Dazu kommen neun Jahre lesbisch-schwules Filmfestival im Clubkino Siegmar oder zehn Jahre difranco. Das Schöne ist, wenn man aktiv in Chemnitz lebt, dann trifft man sehr schnell und immer wieder auf Leute, die die Stadt ebenfalls mitgestalten. Man fühlt sich wirklich sehr gut vernetzt. Chemnitz habe ich aus diesem Grund immer als meine Stadt empfunden. Sie ist vielfältig, wird schnell greifbar und ist daher auch überschaubar.

Was ist ein triftiger Grund, der Stadt den Rücken zu kehren? Mit nur einem Grund lässt es sich für mich gar nicht erklären, warum ich jetzt sage, ich wohne in zwei Städten. Zum einen: Seit Jahren ziehen viele meiner Freunde in andere Städte und ich fand es immer schwerer, Gleichgesinnte für alle Bereiche meines Lebens in Chemnitz zu finden. Zum anderen war ich bestimmt schon zig mal in den meisten Veranstaltungsorten. Da verliere ich, und ich denke das ist verständlich, die Neugier am Ort, an der Veranstaltung, den Menschen und unweigerlich auch an der Stadt. Es zieht mich deshalb in eine andere, größere Stadt, wo ich auch mal untertauchen kann. Mit etwas Abstand kommt meine Neugier auf Chemnitz wieder zurück, doch ich vermisse schon sehr häufig einen Spätkauf um die Ecke.
Barbara Ludwig (Oberbürgermeisterin der Stadt Chemnitz)
Barbara Ludwig (Oberbürgermeisterin der Stadt Chemnitz)

Es gibt eine Menge Gründe, warum es wunderbar ist, in Chemnitz zu leben: Preisgekrönte Kunst. Viel Grün. Freiraum. Attraktive Arbeitgeber. Eine vielfältige Forschungslandschaft. Europas größtes Gründerzeitviertel. Wunderschöne städtische Parkanlagen. Historische Jugendstilvillen. Junges Theater. Mitreißenden Fußball mit dem CFC. Einen Türmer. Eine Vielzahl guter und bezahlbarer Kinderbetreuungsangebote. Konzerterlebnisse in Kellerkneipen oder Konzerthallen. Alternative Kultur. Rabenstein als kleinste Burg Sachsens. Einen 290 Mio. Jahre alten versteinerten Wald. Das Kulturhaus Tietz. Das Industriemuseum. Den Roten Turm. Den Nischel. Tierische Orakel und mehr im Chemnitzer Tierpark. Das Chemnitzer Modell. Das sanierte Stadtbad. 200 Sportvereine mit 70 verschiedenen Sportarten. Den Internationalen Stefan-Heym-Preis. Viele Ideen. Den Anspruch, besser und schneller zu sein. Erfindergeist. Und natürlich: Die Chemnitzer. Wäre mehr Platz, ließe sich diese Liste endlos fortsetzen.

Aber es gibt eigentlich nur zwei Gründe, Chemnitz den Rücken zu kehren. Zum Ersten, um die Vorzüge der Stadt auch außerhalb der Stadtgrenzen bekannter zu machen. Ich denke da z.B. an die LaufKultour, die in diesem Sommer Chemnitzer Wissenschafts- und Erfindergeist in alle Ecken Deutschlands getragen hat. Zum Zweiten, um zurückkehren zu können und Chemnitz mit neuen Eindrücken zu bereichern. Denn jede Stadt braucht auch Veränderung, neue Impulse, Einflüsse und Ideen. Abstand kann eine neue Nähe schaffen.
Holm Krieger (Musiker (Solche), Bandbüro Chemnitz, Arthur e.V.)
Holm Krieger (Musiker (Solche), Bandbüro Chemnitz, Arthur e.V.)

Warum ist es wunderbar, in Chemnitz zu leben? Hier ein Gewohnheitstier und doch auf der Suche. Nach Heimat oder Ruhe, nach Zukunft oder Vergangenheit. Das Leben in Chemnitz ist seltsam. Besonders Wundern ist schlecht auf die Schliche zu kommen. Ich wundere mich in dieser Stadt über vieles, am meisten über die Abwesenheit von Wundern. Alles scheint seit Jahrhunderten geplant und berechnet, und die Chemnitzer und Chemnitzerinnen trotten einem tristen Kleinstadtparadies entgegen. Pragmatisch, klaglos - die Stadt der Maschinen: Dampfmaschinen, Werkzeugmaschinen, Mensch-Maschinen. Doch daneben immer wieder Lust am Leben, aufkeimende und schnell erstickte Ausbrüche von etwas, das anders ent- und verwirft und Alternativen sucht und findet und zeigt, dass da mehr ist oder sein sollte. Zusammensein, Verrücktes zulassen, sich aufregen und einmischen, das Schicksal neu erfinden. Immer wieder. Ganz pragmatisch. Das ist das Wunderbare und ermöglicht es in seltenen, schönen Momenten in Chemnitz zu leben.

Was ist ein triftiger Grund, der Stadt den Rücken zu kehren? Alles. Für die Älteren zu laut, für die Jüngeren zu leise, zu niedrige Löhne und zu hohe Arbeitslosigkeit. Zuwenig Kultur, zuviel Polizeiverordnung, eine willkürliche Verwaltung und interne Absprachen bei den demokratischen Hoffnungsträgern und -trägerinnen. Leere Straßen und Plätze, Discounter und 1-Euro-Shops in der Innenstadt. Blöde Blicke und besetzte Einzelplätze in der Straßenbahn. Vielbeschworene Toleranz gibt es nur als Ignoranz und selbst die ist selten, außer bei Nazis. Also weg, weg, weg. Oder bleiben und etwas Neues wachsen lassen.
Ute Kiehn (Geschäftsführerin des Kraftwerk e.V.)
Ute Kiehn (Geschäftsführerin des Kraftwerk e.V.)

Warum ist es wunderbar, in Chemnitz zu leben? In Karl-Marx-Stadt wurde ich geboren, verbrachte da Kindheit und Jugend. Nur zum Studium und meine ersten Berufsjahre ging ich nach Leipzig und Frankfurt (Oder). Doch ich kehrte ganz schnell zurück, um in Chemnitz zu leben. Das ist meine Heimatstadt, hier sind meine Wurzeln, meine Familie, Freunde und ein vertrautes und doch in den vergangenen Jahren verändertes Umfeld. Hier bin ich zu Hause. Apropos zu Hause – in unmittelbarer Nähe meiner Wohnung werde ich täglich in großen Buchstaben und Großbuchstaben daran erinnert. Den Künstlern und der Idee gilt mein Dank, denn der Schriftzug macht sich auch als Erklärung für Besucher ganz gut. Ich lebe also gern in Chemnitz, meiner Stadt. Ich konnte die Entwicklung verfolgen, das langsame Wieder-Entstehen eines Stadtzentrums. Das Einkehren von etwas Leben und Belebung. Das kulturelle Leben bietet eine Vielfalt für mich: Tietz, Schauspiel, Konzerte, Ausstellungen in der Alten Aktienspinnerei und natürlich die Angebote im Kraftwerk. Leider ist mein Zeitvolumen zu knapp, um all das, was mein Interesse fände, auch zu nutzen. Ich finde es schön, mit meinem Mann durch den Küchwald oder Stadtpark zu laufen, am Schlossteich auf einer Bank zu sitzen, Boot zu fahren oder vom Schlossberg auf Chemnitz zu schauen. Das viele Grün in unserer Stadt genieße ich sehr. „Heimat ist, wo wir lieben“ – Ehm Welk spricht mir aus dem Herzen.

Was ist ein triftiger Grund, der Stadt den Rücken zu kehren? Natürlich gibt es auch Situationen, da könnte ich weglaufen, weit weg. Z.B. wenn mal wieder ein Knöllchen hinter der Windschutzscheibe klebt, weil es wirklich keine andere Parkmöglichkeit gab; wenn ich wieder mal nichts bewirken konnte, weil eine Richtlinie zwischen meinem gesunden Menschenverstand und der Realität stand oder wenn eine Baustelle monatelang besteht und ich Umleitungen fahren muss. Doch das gibt es sicher auch in anderen Städten. Einzigartig dagegen ist der Altersdurchschnitt in unserer Stadt. Und mit einigen Monaten darüber, trage auch ich dazu bei. Das ist nicht zu ändern. Nicht zu ertragen wäre für mich jedoch, wenn Chemnitz zu einer „Alten-Stadt“ würde. Ich wünsche mir, dass die Chemnitzerinnen und Chemnitzer mit dem Älterwerden im Herzen jung und aktiv bleiben, dass Aufgeschlossenheit und Offenheit spürbar sind, dass sich Lebensfreude in den Gesichtern widerspiegelt. Lebensfreude soll es aber auch auf öffentlichen Plätzen bei Veranstaltungen geben und in Häusern ohne vollkommene Lärmdämmung bei einer Reglementierung, die auf ein sehr geringes Maß begrenzt ist. Dann gibt es für mich keinen triftigen Grund, Chemnitz den Rücken zu kehren.
Ulf Kallscheidt (Weltecho)
Ulf Kallscheidt (Weltecho)

Pro und Kontra lässt sich in Chemnitz schlecht trennen. Ein ganz klarer Vorteil dieser Stadt: Chemnitz ist familien- und kinderfreundlich. Jeder bekommt hier einen Kita-Platz, es gibt die Parkeisenbahn und das Puppentheater – all das habe ich seit der Geburt unseres Kindes wirklich schätzen gelernt. Dazu kommt viel Wohlwollen für die Kleinen, und man kann unbeschadet mit Kindern durch die Stadt ziehen. Das ist auch nicht in allen Städten so. Was mir auch gefällt, ist die Übersichtlichkeit: die kleine Großstadt oder die große Kleinstadt. Jedenfalls verliert man sich hier nicht im Moloch und ertrinkt im Überangebot. Es gibt zudem viel Platz sich Auszuprobieren, seine Ideen auszuleben. Und schon bin ich beim Kontra: Der Platz ist da, aber es fehlt der Mut. Siehe Exka oder die lange Diskussion um den Brühl. In Chemnitz tut man sich gern schwer mit allem Neuen, mit Veränderung. Prima ist dagegen wieder, dass die Stadt nicht interessant ist für Pauschaltouristen und hier nicht ständig Busse durchrollen, die Leute auskippen. Und mir gefällt das viele Grün – das macht die Stadt wach und frisch. Nur – Vorsicht Kontra – ausgerechnet in der Innenstadt fehlen die Bäume. Das Wohnzimmer von Chemnitz wirkt dadurch kühl und kahl. Ansonsten hat Chemnitz von allem etwas. Die Stadt muss auf nichts verzichten, was Großstädte sonst bieten: weder Gastronomie, noch Kultur, noch Handel. Nur gibt es das alles ohne Konkurrenz, was der Qualität oft schadet. Der Schmelztiegel Innenstadt wird dadurch nur auf lauwarme Temperaturen gebracht. Aber das größte Manko ist, dass sich noch zu wenig Leute für Kultur interessieren.
Gerd Ulbricht (Kabarettist)
Gerd Ulbricht (Kabarettist)

Chemnitz hat zweifellos seine guten Seiten, auch wenn man manchmal etwas genauer hinsehen muss. Wenn du die 50 gerade überschritten hast, kommst du dir in dieser Stadt noch lange nicht alt vor. Vorausgesetzt wissend wo, findet man immer gut gelaunte Leute, die sich nicht zu Langeweile zwingen lassen wollen. Natürlich gibt es schönere Innenstädte und geilere Kneipenmeilen. Auch das mit dem mangelnden Selbstbewusstsein stimmt. Ist mir aber allemal lieber als so manche landeshaupt- oder messestädtische Arroganz. Ich glaube auch nicht, dass in Chemnitz mehr Holzköpfe wohnen als anderswo. Hier fallen sie nur mehr auf. Wenn schon mal was los ist in der Stadt, und ein einziger ehemaliger Parteisekretär fühlt sich beim Westfernsehen gestört, kann der den Organisatoren der Veranstaltung das Leben zur Hölle machen. Ich habe auch die Hoffnung aufgegeben, es könnte wenigstens in Ansätzen so eine Art Szeneviertel nach dem Vorbild der Neustadt in Dresden entstehen. Die jungen Leute, die unsere Stadt so dringend benötigt, gibt es doch. Die Uni ist voll davon. Aber die sind nun mal im Internet, nicht in der Stadt. Szeneviertel! Undenkbar! Schon der Ansatz dazu wird mit Bedenken und Gegenargumenten zugepflastert. Die Angst einen Nachbarn zu bekommen, der seine Übergangsjacke nicht beim freundlichen Vietnamesen auf dem Schlüpfermarkt kauft, ist größer als die Angst vorm Sterben ganzer Stadtteile. Natürlich könnte ich mir auch vorstellen im Dakotahaus in New York zu wohnen, aber da wird man ja so leicht erschossen, und wer bezahlt es? Ich arbeite nun mal hier, und das mache ich gern. Jede Stadt ist genau das, was die Menschen, die in ihr leben, daraus machen. PS.: Übrigens auch ein unschlagbarer Vorteil von Chemnitz: Welch bekloppter Bombenschlucker in wessen Namen auch immer unterwegs ist, die Gefahr für Chemnitz ist da eher gering
Uwe Dziuballa (Inhaber des Restaurants Schalom,  Ehrenvorsitzender des Schalom e.V.)
Uwe Dziuballa (Inhaber des Restaurants Schalom,
Ehrenvorsitzender des Schalom e.V.)

Warum ist es wunderbar, in Chemnitz zu leben? In einem Titel von Karat heißt es „...manchmal hasst man das, was man doch liebt“, oder so ähnlich. Dies könnte ich als eine gefühlte Parallele für mich zu Chemnitz sehen. Chemnitz ist so etwas wie meine Liebe auf den zweiten oder dritten Blick. Als Stadt zeigt sich mir Chemnitz nicht gleich von seiner besten Seite und ist mit einer guten Flasche Wein zu vergleichen. Die Stadt hat nicht das schönste Etikett, aber bei genauerem Hinsehen bin ich oft von dem Potential und dem Wollen der Menschen überzeugt. Wie beim Öffnen einer guten Rotweinflasche bleiben nach dem Dekandieren meist ein paar Rückstände in der Flasche (Depot). Aber diese Rückstände zeichnen unter anderem einen guten Wein aus. Und so geht es mir eben auch mit Chemnitz. Mein Bruder und ich waren aus den unterschiedlichsten Gründen immer mal eine Zeitlang nicht in Chemnitz. Kamen wir dann wieder zurück, nahmen wir das gesamte Spektrum an Entwicklung deutlich wahr. Was sich in Chemnitz auf dem Gebiet der Industrie so entwickelt, bekommt man auch in Gesprächen mit Personen außerhalb von Chemnitz, ja außerhalb von Deutschland mit. Da bin ich dann schon stolz auf Chemnitz. Neben der Industrie ist es die etablierte Kulturszene, welche große Beachtung findet, die Funde aus frühen Zeiten, wie der versteinerte Wald mit der Bandbreite an neu gefundenen Objekten. Dies alles trägt den Namen Chemnitz mit einem positiven Image in die Welt. Das provinzielle der Innenstadt von Chemnitz hat für mich seine guten Seiten, da ich vieles mit dem Fahrrad erledigen kann. Neben dem, was alles in Chemnitz geboten wird, den vielen kulturellen Möglichkeiten, die ich als Teil der arbeitenden Bevölkerung leider nur sehr begrenzt nutzen kann, finde ich das Spektrum an Grünflächen super. Um die Hektik aus meinem Alltag zu bekommen, nutze ich die in Chemnitz so zahlreich vorhandenen Grünanlagen wie Küchwald, Schlossteich, Stadtpark, Zeisigwald und Schillerplatz. Als nicht gerade ländlicher Typ, genieße ich dennoch innerhalb der Stadt, unabhängig der Jahreszeiten diese Oasen. Da kann ich Chemnitz für mich auch richtig gut riechen und schmecken, um im Bild des Weines zu bleiben. Den optischen guten Abgang habe ich dann beim Spaziergang vom Kaßberg über die Innenstadt hin zum Sonnenberg. Dabei erfreu ich mich an der erhaltenen Bausubstanz und ärgere mich über die noch deutlichen Lücken bzw. Ruinen. Ich habe schon in einigen Städten gelebt und gearbeitet, und war mir dabei bewusst, es ist immer da, wo man gerade nicht ist, scheinbar besser als vor Ort. Sehr schön ist, dass ich in Chemnitz Menschen gefunden habe, die nicht nur an einem Strick, sondern den auch in die gleiche Richtung mit mir ziehen!

Was ist ein triftiger Grund, der Stadt den rücken zu kehren? Was mir absolut nicht gefällt, ist Gleichgültigkeit. Dabei spreche ich aus meinen Erfahrungen als Vorstand bzw. als Mitglied von Vereinen. Mich stört, dass einige der Stadtverantwortlichen das Gefühl vermitteln, Probleme oder Anfragen eher aussitzen zu wollen, als an einer Lösung interessiert zu sein. Ob das in anderen Städten ähnlich ist, kann ich nicht sagen, aber in der Stadt, in der ich lebe, ärgert es mich. Chemnitz ist mit Sicherheit in all seinen Facetten nicht perfekt. Das ist nicht schlecht, denn die Perfektion hat keinen Charakter. Persönlichkeit benötigt nun mal Charakter und den hat Chemnitz.

Zwei Dinge könnten mich bewegen, aus Chemnitz weg zu gehen: mein weiteres unternehmerisches Tun und die Sehnsucht nach dem Meer.
Ingrid Mössinger (Direktorin der Kunstsammlungen Chemnitz)
Ingrid Mössinger (Direktorin der Kunstsammlungen Chemnitz)
Ich finde Chemnitz wunderbar, weil die Stadt die schönsten Museen in Europa hat, spektakuläre Architektur aus der Epoche der Moderne, weil es hier den noch zu unbekannten fünf Kilometer langen Stadtpark und eines der eindrucksvollsten Hallenbäder Deutschlands gibt. Einen großen Nachteil für Chemnitz sehe ich in der schlechten nationalen und internationalen Verkehrsanbindung der Stadt.
Christoph Magirius (Superintendent i. R. und Ehrenbürger der Stadt Chemnitz)
Christoph Magirius
(Superintendent i. R. und Ehrenbürger der Stadt Chemnitz)

Nach Meerane, Halle, Pillnitz, Dresden, Leipzig ist Karl-Marx-Stadt/Chemnitz der Ort, an dem ich die längste Zeit, 30 Jahre meines Lebens, verbracht habe. Das muss seine Gründe haben. Ich kann in einer Großstadt leben und in 20 Minuten im Wald und auf sanften Höhen sein und die Gebirgszüge des Erzgebirges sehen. Welche Stadt außer Chemnitz hat sich noch entschieden, nicht nur „Einkaufstempel“, sondern ein Kulturhaus zu besitzen, in dem Volkshochschule, Stadtbibliothek und Kunsthütte unter einem Dach sind und Chemnitzer Bürger sich bilden, lesen und Kunst betrachten können.

Gern zeige ich Gästen die Verwandlung der Stadtmitte, in der einst Öde und gähnende Leere sich ausbreitete, zu einem Zentrum, in dem das Leben fließt. Ein Türmer, der mit seiner Kenntnis und seinem Humor in unvergleichlicher Weise die Stadtgeschichte nahebringt und vom Kirch- und Rathausturm seine Stimme hören lässt. Menschen, mit denen ich verbunden bin, die ein Bild von der Zukunft unserer Stadt im Herzen tragen, in dem der soziale Frieden, die Wirtschaftskraft und gute Luft ein Bündnis schließen. Ihren Mut und ihren Einsatz, ihre Hoffnung bewundere ich.
Eine Oper, die zwar nicht Semperoper, aber ein Kleinod ist und deren Inszenierungen nicht von geschmacklosen Einfällen lebt.
Kirchen, die zu Festen einladen, zu Konzerten in bunter Orgellandschaft, aber auch selbstverständlich und unauffällig Menschen im Alltag begleiten, mit ihnen auf dem Weg sind, wenn sie trauern. Ich achte das Alter, zumal ich selbst alt bin, aber ich bedauere, dass die Jugend sich rar macht, auf das Universitätsgelände zurückzieht, die Stadt verlässt, auf den Straßen fehlt. Immer noch so scheint der Fußgänger und Fahrradfahrer mehr ein Störfaktor als ein ernstzunehmender Verkehrsteilnehmer zu sein. Dennoch: Ich bin hier und das seit 30 Jahren.
Mike Schorler (Konzertveranstalter In Move)
Mike Schorler (Konzertveranstalter In Move)

Warum ist es wunderbar, in Chemnitz zu leben? Das ist kurz gesagt. Hier ist meine Heimat. Ich bin in Chemnitz geboren und aufgewachsen. Hier ist der Mittelpunkt meines Lebens, wo ich den Großteil meiner Familie, meiner Freunde und Bekannten habe. Hier habe ich unsere Firmen In Move und With Full Force mitgegründet.

Was ist ein triftiger Grund, der Stadt den Rücken zu kehren? Was mir persönlich missfällt ist die Überalterung. Zu viele junge Leute sind aus der Stadt weggegangen und haben auch viel junges Lebensgefühl und Potential mitgenommen. Weiterhin fehlt es an kultureller und gastronomischer Vielfalt und vor allem auch an der Nachtkultur. Für mich als Chemnitzer Konzertveranstalter ist es schon traurig, dass wir viele unserer Events und Konzerte in anderen Städten durchführen müssen, weil es uns in Chemnitz oft an Publikum fehlt. Zumindest in der Größenordnung, in der wir arbeiten. Das alles wiegt zwar nicht auf, was mich an Chemnitz bindet, aber das macht das Leben in Chemnitz schon ein bisschen ärmer.
Jörg Stingl (Extrembergsteiger)
Jörg Stingl (Extrembergsteiger)
„Chemnitz für immer den Rücken kehren? Das wäre schwer und bitter, denn hier bin ich aufgewachsen. Nach langen Klettertouren komme ich immer gerne in meine Heimat zurück. Die Stadt ist sozusagen mein Basislager. Das hat natürlich auch soziale Gründe: Mit den Jahren sind – auch dank des familiären Charakters von Chemnitz – enge Freundschaften entstanden. Einen Vorteil für die Stadt sehe ich in ihrer hervorragenden Lage am Nordrand des Erzgebirges. Mountainbiking, Joggen, Skifahren oder auch mal Klettern – sportliche Betätigungen in der Natur sind vielfältig möglich, ohne weite Wege in Kauf nehmen zu müssen. Das ist zwar eine gute Basis, trotzdem besteht enormer Aufholbedarf gegenüber anderen sächsischen Städten. Abwanderung ist dann die logische Folge, wenn wir immer provinzieller werden und für junge Leute kein Anreiz mehr besteht, hier zu bleiben. Es wird immer davon gesprochen, Chemnitz zu beleben – die Ergebnisse blieben in der Vergangenheit aus. Statt in Werbekampagnen zu investieren, sollten wir lieber unsere Mentalität überdenken, gegenseitigen Einsatz zeigen. Nicht nur, um die bundesweiten und sogar internationalen Vorurteile durch attraktives Stadtmarketing entkräften zu können, sondern auch um grundlegende Dinge zu erhalten. So wie mein ‚Baby’, das Bernsdorfer Bad, welches auf der Chemnitzer Sparliste stand und ursprünglich geschlossen werden sollte. Das Beispiel zeigt, dass jeder seinen Teil zur Attraktivität der Stadt beitragen kann.“

Fotos: Gleisberg (17 ), Dumke, Eckert