Kleine Jungs und große Träume. Die Träume blieben, aber die Jungs wurden erwachsen und einige beschrieben sich fortan mit einem nicht ganz ernst zu nehmenden Begriff. HKB – How to Kill a Bottle. Hip Hop zwischen Klassenkampf und Party
Text: Heike Geißler, Fotos: André Koch
Als alle Welt noch im Flower Power schwelgte, formte sich in den Schwarzenvierteln der hyperaktiven Metropole aus Gospel, Reggae, Blues und Jazz eine neue Ausdrucksform, die keine Melodien brauchte. Der Alltag wurde zu poetischem Rap, die Sprache zum aggressiven Medium, das Kraft gab, Schuld zuwies, Spaß machte und die Geburt des Hip Hop einleitete. DJs rappten zu ihren Scheiben und entdeckten das Scratching und Mixing. Die rhythmischen Wortexplosionen feuerten die Breakdancer zu immer waghalsigeren Figuren an. Streetparties beförderten die ersten Gehversuche einer neuen Bewegung auf die Überholspur. Höher, schneller, weiter. Welcher DJ kann die tanzenden B-Boys zu den akrobatischsten Spins antreiben? Wer ist der beste Tänzer und wessen Graffiti überbietet alles Gewohnte?
Die rivalisierenden Straßenbanden wurden durch Hip Hop nicht zu Freunden, aber ihre Schlachten zu faireren Wettkämpfen. Vorreiter dieser neuen Friedfertigkeit waren Leute wie Kurtis Blow und Africa Bambaataa. Mit ihnen wurde der Rap aus dem Zwielicht der dunkelsten Viertel gehoben, Hip Hop zur Ideologie und gleichzeitig heißesten Exportware Amerikas. Spätestens seit dem Film „Beat Street“ breitete sich das schwarze Lebensgefühl auch in der DDR aus. Mangels Spraydosen und Technik war es vor allem der Breakdance, der faszinierte. In nahezu jeder größeren Stadt entstanden Breakdance-Crews. Ohne großes Bewußtsein über die Hintergründe dieser Modewelle, gab man sich anfangs einfach dem Gemeinschaftsgefühl hin. Als der erste Reiz der Neuigkeiten aus dem Westen verflog, trennte sich die nach neuen Trends gierende Spreu vom überzeugten breakdancenden Weizen. Das Laufen lernen auf der Straße des Hip Hop war beschwerlich,
Planet Dance Crew, Break Machine und Bad Young Brothers hatten ihre Identität im Tanz gefunden und lebten vor, daß dieses schwarze Lebensgefühl nicht nur eine Frage der Herkunft, sondern vielmehr ein prägender Gemeinschaftsgedanke ist.
schließlich waren die Vorbilder fern und inspirierende Information kaum zu erhalten. Keiner von ihnen hatte je Erfahrungen mit Ghettos und wirklichem Überlebenskampf gemacht. Verständlich also, wenn die ersten Gehversuche hilflose Stolperer oder pure Imitationen einer anderen Wirklichkeit waren. Doch die Schritte wurden zielstrebiger, man setzte sich bewußter mit den Hintergründen des Phänomens Hip Hop auseinander und legte den Grundstein für eine ganz neue Szene. Wettkämpfe fanden statt, auf denen sich die Crews nach amerikanischem Vorbild maßen. Stein für Stein pflasterte sich die Kultur eines Klassenfeindes den Weg durch die Einschränkungen der Diktatur. DT 64 brachte Spezialsendungen und Clubs wurden zur neuen Heimat der Tänzer.
Planet Dance Crew, Break Machine und BYB (Bad Young Brothers) waren die Väter der Chemnitzer Hip Hop-Familie. Sie hatten ihre Identität im Tanz gefunden und lebten vor, daß dieses schwarze Lebensgefühl nicht nur eine Frage der Herkunft, sondern vielmehr ein prägender Gemeinschaftsgedanke ist. Ihre Konsequenz, Kreativität und letztlich auch die stärkere Medienpräsenz des amerikanischen Kults, weckten Interesse. Der Nachwuchs wurde von der jeweiligen Vorgängergeneration an die Hand genommen und machte mit kleinen Schritten Erfahrungen in einer neuen beeindruckenden Welt.
Kleine Jungs und große Träume. Die Träume blieben, aber die Jungs wurden erwachsen und einige beschrieben sich fortan mit einem nicht ganz ernst zu nehmenden Begriff. HKB – How to Kill a Bottle. Ihr Name beruht auf einer mittäglichen Anekdote, die sich zum bezeichnenden Dauerwitz aller folgenden Treffen entwickelte. Doch nicht effizientes Entleeren von Ket-chupflaschen ist ihr Anliegen, sondern Hip Hop. Seit sie ihn von Bataclan, DoYa Posse und anderen vorgelebt bekamen, ist er Lebensphilosophie und Zukunft zugleich.
HKB gibt der Freundschaft und der gemeinsamen Leidenschaft einen Namen, ist aber gleichzeitig Wurzel und Sammelbegriff anderer Projekte. That Mad Matrix zum Beispiel sind DJ „Little“ T, Fast 5 und Tefla. Ihr Ziel ist die Party. Wo sie sind, soll Musik ablenken, einwickeln und mit konsequenten Rhythmen den Streß aus dem Hirn peitschen. Wer Entspannung verbreiten will, hütet sich vor bitteren Themen. Deshalb rappen die MC’s Tefla und Fast 5 gutgelaunt über die positiven Aspekte des Lebens. Tiefsinn und Bedeutung unterliegen dem Sprachwitz. Ist Englisch witziger als Deutsch? Runder, klarer und schneller auf jeden Fall. Überzeugende Erfahrungswerte von MC’s, die sich auch am Russischen probierten. Just for Fun, denn Hip Hop ist Spaß. Trotzdem wird die Zukunft ernstere Themen mit sich bringen. Kritik, Wut und Rebellion gehören schließlich genauso zum Hip Hop, wie ungetrübte Lebensfreude.
Keine Angst vor einer Szene, die nach außen oft so abgeklärt cool und exklusiv erscheint.
That Mad Matrix will es schaffen, auch mit eigenen Produktionen das Publikum zum Mitswingen zu überzeugen. Von dessen Reaktion hängt alles ab. Anerkennung, Erfüllung und Weiterentwicklung. Jede Show ist so gut wie ihre Gäste und doch hat es der DJ in der Hand, gelangweilte Individuen in eine exstatische Masse zu verwandeln. Er kann Marionetten aus ihnen machen, sie fallen lassen oder bis zur Schmerzgrenze antreiben. Ein guter DJ entscheidet über den Abend, er bestimmt Höhepunkt und Untergang der Party. Er kann und muß am Publikum experimentieren. Stagnation bedeutet Langeweile – nur das Ausreizen der eigenen Fähigkeiten bringt den Fortschritt.
„Wer nur tut, was er kann, wird immer bleiben, was er ist.“, philosophiert Tinoka. Er ist DJ und gleichzeitig das Ein-Mann-Projekt Serious Tapes. Gemeinsam mit den HKBlern Ron und Shusta, die Phlatline Tapes gründeten, ist sein Ziel ein eigenes Label. Doch bevor professionell Platten produziert werden können, bilden Mixtapes die alternative Spielwiese für des DJs wildeste Träume. Notlösung und gleichzeitig clevere Strategie. Einfach in der Produktion kann man Mixtapes billig und schnell über Kataloge vertreiben. Die Fähigkeiten des DJs stehen im Mittelpunkt und lassen sich fern der Musikindustrie effektiver vermarkten. Zumindest in New York. Deutschland schwört noch immer auf Platten. Deshalb werden Phlatline Tapes die Idee vom eigenen Label nicht aufgeben. Einerseits, um Gruppen wie That Mad Matrix eine solide Basis zu schaffen. Andererseits wurde aus dem exotischen Hobby Hip Hop eine Berufung. Was sie von Chemnitzer Vorreitern und den respektierten schwarzen Urvätern gelernt haben, soll sicheres Standbein ihrer Zukunft werden. Die HKB mit dem Anschein typischer Ghettoromantik als verklärter Deckmantel eines marktwirtschaftlichen Unternehmens?
Ron, Shusta, Tefla, Manager, Fast 5, Tinoka, G.U.I.D.O. und „Little“ T geht es nicht um schnelles Geld. Sie wollen vom Hip Hop irgendwann gut leben können. Sehr gut wäre natürlich auch okay und sogar vor dem politisch korrekten Gewissen vertretbar. Schließlich ist Hip Hop schon lange nicht mehr ausschließliches Sprachrohr einer ausgebeuteten schwarzen Minderheit. Hip Hop ging um die Welt und ließ Absahner, Nachahmer, Idealisten und verschiedenste Interpretationen eines mitreißenden Lebensstils zurück. Der Hip Hop der How to Kill a Bottle ist nicht die ultimative Definition der Massenbewegung, sondern Ergebnis von Auseinandersetzung und Selektion der übermittelten schwarzen Ideologie. HKB wuchsen nicht mit dem lebensschulenden Alltag der New Yorker Ghettos auf, sondern in einen ostdeutschen Versuch der Nachempfindung hinein. Um Hip Hop besser verstehen und fühlen zu können, gleichen sie mangelnde Erfahrung mit Wissen aus. Ron erzählt von Malcolm X und Tefla will bald das neue Testament lesen. Schließlich sind Brüderlichkeit, Respekt und Frieden nicht nur Maximen ihres Daseins. Zurückschauen ist hier keine Nostalgie, sondern eine Möglichkeit, den eigenen Lebensstil zu erklären. Ihr american way of life ist schwarz, ohne die gesicherte weiße Existenz leugnen zu wollen. Konsequent hat die HKB das zielsichere Laufen gelernt und ist jetzt selbst reif, der nächsten Generation wesentliche Schritte vorzuleben und mit Erfahrung zu stützen.
Keine Angst vor einer Szene, die nach außen oft so abgeklärt cool und exklusiv erscheint. Die HKB will nicht ausgrenzen. Zwar spricht Hip Hop eine zuweilen abschreckend klare Sprache, aber keiner bleibt ewiger Buhmann, denn schließlich ist es die Gemeinschaft, die zählt. Sie macht deutlich, was mit Hip Hop zu leben bedeutet: Streit, Witz, Aktion, Zusammenhalt, Vergangenheit und Zukunft. Und manchmal auch Alfred Biolek-Imitationen in der Stadtstreicherküche. Nicht wahr, Tefla?