Fünf Wochen nach der Verkündung der Schließungspläne für das Clubkino Siegmar steht eine Rettung des kommunalen Lichtspielhauses in weiter Ferne. Unter dem Eindruck des angespannten Haushaltsbudgets möchte Kulturdezernent Peter Fittig das Stadtrandkino um jeden Preis als „Jungfrauenopfer“ darbringen.
„Meine Damen und Herren, die Stadt Hof beabsichtigt, im nächsten Jahr ihr Kulturamt zu schließen.
Der Haushalt der Millionenstadt Essen wird 1996 nur noch kommissarisch verwaltet. Soweit soll es in Chemnitz nicht kommen.“ Mit diesen Worten begann Kulturdezernent Peter Fittig seine unter dem wachsendem Mediendruck eilig einberufene Pressekonferenz zum Thema Clubkino Siegmar. Fittigs Vergleich verwundert nicht. Mißt man sich in der sächsischen InnovationsWerkStadt doch gern mit Kommunen, deren Situation noch schlechter als die eigene erscheint. Trotzdem kann Fittig mit seinen populistischen Sparargumenten durchaus auf Verständnis hoffen. Schließlich gibt es wichtigere kommunale Aufgaben, als ein „Spartenkino“ am Stadtrand zu erhalten. Soziale Kürzungen bewegen die Gemüter allemal, selbst das inzwischen stark sanierungsbedürftige Schauspielhaus der Stadt ist in Zeiten allerorts leerer Kassen längst keine heilige Kuh mehr. Doch der Fall Clubkino offenbart sich nicht nur als ein finanzielles Problem. Nachdem die Kürzungspolitik im Mähverfahren die Kulturlandschaft vom Biotop in einen englischen Rasen verwandelt hat, scheinen weitere Kürzungen kaum noch möglich. Fittig, früher selbst Kinoleiter im Metropol, muß seinen Dezernentenkollegen nun beweisen, daß er Politiker genug ist, um auch gegen den öffentlichen Widerstand ganze Posten aus dem Kulturhaushalt zu streichen. Ein Plan, der die Schließung des Hauses am Ende nur als Umzug verkaufen sollte, wurde schon frühzeitig vorbereitet.
Die Schließungsvorbereitungen können als clever, taktisch klug und von
langer Hand vorbereitet bezeichnet werden.
Der Anfang vom Ende
Bereits bei den ersten Gesprächen zwischen der Stadt Chemnitz und dem Luxor-Bewerber Kieft wurde Heiner Kieft gefragt, ob er bereit wäre, auch kommunales Programmkino zu veranstalten, dessen Profil von einem unabhängigen Programmbeirat bestimmt wird. Kieft signalisierte Bereitschaft, doch dann wurde es erst einmal ruhig um die Programmkino-Pläne. Erst wesentlich später kam derselbe Plan wieder auf die Tagesordnung. Doch eine Schließung des Clubkinos Siegmar wurde deshalb weder von Kieft gefordert noch ihm offiziell in Aussicht gestellt. Das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Stadtverwaltung schon länger über Möglichkeiten nachdachte, sich des lästigen Clubkino-Zuschußgeschäftes zu entledigen. Zum Hemmschuh gestaltete sich eine Auflage der Treuhand, die beim Erwerb der Immobilie zum Peanutspreis verfügte, das Filmhaus bis Ende 1995 als kommunales Kino zu betreiben. Diese Auflage wurde erfüllt. Selbst die noch im letzten Jahr eingesetzten Fördermittel in Höhe von 350 000 DM für die Teilsanierung des Hauses dienten offiziell lediglich der Wertsicherung der Immobilie, nicht aber der langfristigen Fortsetzung des Kinobetriebes. Kulturamtsleiterin Petra Borges verkündete, daß sie alles versucht habe, das Haus durch die Integration verschiedener Vereine zum soziokulturellen Stadtteilzentrum mit Kinobetrieb umzufunktionieren. Ein halbherziger Versuch ohne Fingerspitzengefühl. Daß sich Soziokultur und Filmbetrieb nicht befruchten, beweist das bis heute gespannte Verhältnis mit dem Clubkino-Mieter „Alte Fleischerei“ e.V., der im Haus einen Jugendclub und Bandproberäume unterhält. Die Schließungsvorbereitungen können als clever, taktisch klug und von langer Hand vorbereitet bezeichnet werden. Die Kultursachwalter Fittig und Borges wären keine Verwaltungsprofis, unterliefen ihnen grobe taktische Verfahrensfehler, die man ihnen in der laufenden Debatte zum Vorwurf machen könnte. Vorwerfen muß man ihnen aber das Fehlen eines klaren kulturpolitischen Konzeptes, welches getroffene Entscheidungen erst nachvollziehbar werden läßt.
Kino bleibt Kino, oder?
Warum soll kommunales Kino nicht einfach im neuen Luxor-Palast stattfinden? Das spart schließlich Geld, außerdem ist das Kino neu, modern und bequem. Diese gern benutzten Argumente lenken von der eigentlichen Problematik ab. Das Clubkino Siegmar ist mit seinem unverwechselbaren und anspruchsvollen Programmkinoprofil sowie seinem liebenswürdigen 70er-Jahre-Charme ein fester Bestandteil der Chemnitzer Kulturlandschaft geworden, und Kultur ist mit dem Taschenrechner allein eben nicht zu machen. Einmal geschlossen heißt für alle Zeiten geschlossen. Kulturelle Bedürfnisse werden so schrittweise abgewöhnt und dem Vergessen preisgegeben. Wachsamkeit ist also geboten, damit ein Traditionshaus, das seit 1917 ununterbrochen als Kino betrieben wird, nicht einer kurzsichtigen, unsensiblen Sparpolitik zum Opfer fällt. Ein Filmpalast wie das Luxor, mit seiner grundsätzlich marktorientierten Ausrichtung, kann und will den Aufgaben eines kommunalen Kinos in seiner Breite nicht gerecht werden. Das sieht man im Hause Kieft nicht anders. Doch als Ergänzung und Bereicherung ist das Programmkino des Luxor-Palastes ein willkommenes Angebot. Beispiele wie in Erfurt, wo sich die Filmpaläste von Kieft und Ufa in unmittelbarer Nachbarschaft vom kommunalen Kino befinden, beweisen ein mögliches Miteinander.
Etwas Durchblick im Haushaltsdschungel
- Der ursprüngliche Haushalt 1996 für das Clubkino beträgt 350 000 DM an Ausgaben, wobei 200 000 DM geplante Einnahmen zurückfließen. Bliebe ein notwendiger Zuschuß von 150 000 DM, der etwa in der Höhe der benötigten Personalkosten liegt.
- Der erste Haushaltsänderungsentwurf der Stadtverwaltung wies ab dem 1. Januar 96 lediglich noch einen Gesamtzuschuß von 12 000 DM aus, wodurch nur noch eine halbe Personalstelle für das Clubkino finanzierbar wäre.
- Ein Änderungsvorschlag der CDU sah vor, 117 000 DM zusätzlich für das Clubkino einzusetzen, um die Kosten für drei Personalstellen im Jahr 1996 zu sichern.
- Ein weiterer Änderungsvorschlag der Stadtverwaltung strich den gesamten Clubkino-Haushalt auf null Mark. Das bedeutet de facto die Schließung des Kinos ab 1. Januar 1996.
Stirb langsam – stirb leise
Ein sorgsam in den Weg geräumter Stolperstein könnte nun das parlamentarisch legitimierte Aus für das Clubkino bedeuteten! Würde der gutgemeinte Vorschlag der CDU-Fraktion, dem Haus 117 000 DM zuzubilligen, von den Stadtverordneten positiv entschieden, ohne den ursprünglichen Haushalt wieder einzusetzen, wäre der Tod des Kinos per 1. April 1996 besiegelt. Denn für das Weiterleben stünde keine einzige Mark mehr zur Verfügung. Warum? Fittig könnte mit den gewonnenen 117 000 Mark, die nicht einmal aus dem Haushalt seines Dezernates stammen, die Kosten für die Personalabwicklung bestreiten. Diese entstehen, weil die Kündigungen der drei Kino-Mitarbeiter erst per 1. April wirksam werden und sich deren Kündigungsfristen auf vier bis sechs Monate belaufen. Kurzum: Fittig gäbe den Betrag, den das Kino 1996 als Zuschuß zum Überleben bräuchte, lieber zur Schließung des Hauses aus, als 1997 wieder ein kommunales Kino im Haushalt zu haben. Das läßt vermuten, daß der Kulturdezernent in Wirklichkeit überhaupt nicht am Erhalt des Clubkinos interessiert ist.
Auch nicht am vorgelegten Konzept der Initiative „Pro Clubkino“ für ein „Film- und Medienzentrum Clubkino“ ab 1997. Eine echte Entscheidung über Leben oder Tod des Hauses ist den Abgeordneten in der bevorstehenden Haushaltsdebatte nur möglich, wenn sie auf Grundlage des wieder eingesetzten Haushaltes (siehe Punkt 2) über zusätzliche Mittel abstimmen können. Ansonsten würden sie lediglich darüber entscheiden, aus welchem Topf die „Beerdigung“ des Clubkinos finanziert wird. Und auch die über 3000 Bürger, die sich bis jetzt mit ihrer Unterschrift für den Erhalt des liebgewonnenen Lichtspielhauses ausgesprochen haben, könnten daran nichts mehr ändern.
André Schenkel