Bausteine for ever

Bau-Amecalt
AMEC

Die ultimative Lego-Grundversorgung liefert ausschließlich eckige Steine nach DIN-Norm. Die Kreativität beim Hausbau endet deshalb meist im Wohnblock. Also nehmen die meisten Eltern eine höhere Investitionssumme in Kauf und beglücken ihre Sprößlinge mit dem Zusatzsortiment. Schließlich soll die heranwachsende Generation die Lust am eigenen Bau nicht verlieren. So ein extravagantes Häuschen am Stadtrand wäre doch schön für die zukünftigen Enkel. Wir wünschen allen heutigen Städtebauern im Nachhinein eine glückliche Kindheit!

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AMEC-Entwurf: Die „Chemnitzer Mitte“ greift das Copyrightsignet der Stadt auf. Oder: Die „Chemnitzer Mitte“ macht aus der vermeintlichen Opernplatz-Theatron-Not eine städtische Tugend.

Viele Grüße aus Karl-Marx-Stadt! Jener Schriftzug wurde inzwischen geändert, doch auf die meisten Innenstadt-Motive der Ansichtskarten besitzt Chemnitz noch immer das Copyright. Der neue Name wirkt wie ein Werbegag. Raider heißt jetzt Twix. Die Polemik zielt nicht auf einen Affront gegen rund 300.000 lebendige Erinnerungen, will keinesfalls die Auslöschung von 40 Jahren städtebaulichem Sozialismus. Dennoch gilt es, Walter Ulbrichts architektonische Prinzipien zu korrigieren: „Machen Sie das Zentrum hell und licht, damit die Menschen noch viele Jahre später sagen können: Sie haben gut gebaut!“ Die vielen Jahre haben 1961 begonnen, von Ewigkeit war nie die Rede. Trotzdem blieb die Stadtsilhouette bis heute die gleiche, allein die Lichtungen erreichten einen neuen Tiefpunkt.
Schließlich hat jede Stadt an ihrer Tradition zu tragen, die meisten schöpfen daraus allerdings ihr Selbstbewußtsein. Dresden muß – koste es, was es wolle – eine ganze Frauenkirche wieder aufbauen. In Leipzig forderte die Mädlerpassage ihre finanziellen Opfer. Also sollte sich auch Chemnitz auf die Schulter klopfen und die millionenschwere Stadtmauer bis zum endgültigen Baubeginn als Prestigeobjekt vermarkten. Dies brächte dem aufgewendeten Geld noch den meisten Nutzen. Stattdessen wurde im Bemühen um Geschichte die gesetzliche Pflicht nicht elegant verschwiegen. Es bleibt die öffentliche Fehlmeinung, daß die Legislative bislang zum Verhinderer der Legoslative wurde. Natürlich kommt kein Baustein auf den anderen, bis das Landesamt für Archäologie, kraft des parlamentarischen Beschlusses, grünes Licht gibt. Doch inzwischen sind die Ausgrabungen abgeschlossen, ein geeigneter Bauherr für das Karree an der Rathauspassage ist dennoch nicht gefunden.

AMEC-Entwurf: Die Engländer wissen, was Regen ist, das Glasdach läßt sich jedoch an trockenen Tagen teilweise öffnen.
AMEC-Entwurf: Die Engländer wissen, was Regen ist, das Glasdach läßt sich jedoch an trockenen Tagen teilweise öffnen.

Chemnitz in der Grube

…saß scheinbar da und schlief. Angefangen hatte alles mit dem Investor ECE. Eine wunderschöne Innenstadt versprach er, die unausweichliche Buddelei begann. Doch während die Archäologen belegten, daß die Vorfahren ein schlichtes Leben ohne Tiefgaragen führten, zeigten sich die Hamburger traditionsbewußt und favorisierten plötzlich einen Billigbau mit Dachstellplätzen. Die Chemnitzer Stadtväter bewiesen sofort Wachsamkeit, der Alptraum wurde verhindert. Nun entschied sich die Innovationsme-tropole für einen zwar zeitaufwendigen, aber dafür soliden Wettbewerb um die Neubelebung. So kam es, daß sieben ernstzunehmende Entwürfe vorlagen. Ein Workshop mußte her. Die Firma Rosco blieb gleich außen vor. Reichte sie doch nur den Vorschlag ein, das Projekt gemeinsam mit der Stadt zu entwickeln. Da waren es nur noch sechs. Nach langer Diskussion stand die Beurteilung auch zu den übrigen fest. Das detaillierte Ergebnis verkürzte der Baudezernent auf die Favoritenrolle der Firma Holzmann. Die Verwaltung hatte sich also entschieden und untermauerte ihre Meinung mittels Ausstellung im Hotel Mercure. In acht Punkten wurden die Vorschläge dort analysiert – acht Punkte, die die Einschätzung des Workshops nicht adäquat wiedergaben. Vermittelten sie doch einen mit Abstand besten Entwurf und ließen den Eindruck entstehen, die Kriterien wären unumstritten bewertet worden. Tatsächlich bedurfte es einer Abstimmung, um das Gremium auf eine endgültige Empfehlung festzulegen.
Beim MDC-Projekt herrschte noch Klarheit. Die Holländer bauen zwar grün, aber wieder weiträumig. Das innerstädtische Leben gerät in den Untergrund, vergibt Potential. Zum zukünftigen Nutzungskonzept fehlen klare Aussagen. Da waren es nur noch fünf. Waldvogel plant einen zu hohen Wohnanteil, weicht von städtebaulichen Vorgaben ab und nutzt den Einzelhandel wenig zur Belebung des öffentlichen Raumes. Die Architektur genügt dem Standort nicht. Da waren es nur noch vier. Hochtief verschafft dem Karree ein zentrales Gebäude. Die räumliche Anordnung läßt das Umfeld außer Acht, besitzt wenig städtebauliche Qualität. Wirtschaftlicher Weitblick wird vermißt. Da waren es nur noch drei. Die Sachsenbau geht vom Abriß vorhandener Wohnbebauung aus, verändert das Straßennetz in Anlehnung an historische Zustände. Dabei werden heutige Nutzungsansprüche kaum berücksichtigt, das architektonische Niveau und die wirtschaftlichen Konzepte sind wenig überzeugend. Da waren es nur noch zwei. Dem AMEC-Entwurf fehlt es an Kleingliedrigkeit, die Verbindung zur übrigen Stadt wie die architektonische Qualität besitzen Mängel. Die Anpassungsfähigkeit an ein verändertes Kaufverhalten läßt sich in Frage stellen. Das Bemühen um Weiterentwicklung des Umfeldes ist nicht zu erkennen. Dennoch gab der Workshop diesem Projekt durchweg gute Noten. Lobte das Gremium ein mieses Konzept? Brauchte der Günstling dringend Unterstützung gegen den Kontrahenten? Oder…?  Der Holzmann-Entwurf ist schließlich nicht schlecht. Die sechs Blocks sind charakteristisch für das Stadtbild und schaffen eine Verbindung zum Umfeld. Zwar sind die Fassaden aufwertungsbedürftig, doch die Parkraumerschließung wie die Aufgliederung des Komplexes erscheinen ökonomisch durchdacht. Das Projekt bietet eine variable Nutzung, welche allerdings noch auszubauen ist. Mit einem solchen Urteil ist alles klar. Nur scheint das Projekt nicht so gut zu sein, daß es selbstredend das Rennen macht. So wurde und wird der Meinungsbildung der Stadträte ein wenig Unterstützung angeboten, bei den Bürgern klappte das nicht. „Auf keinen Fall Holzmann“, war im Gästebuch der Ausstellung zu lesen. Die Älteren unterstützten den traditionellen Schnitt der Stadt Marke Sachsenbau, die größte Lobby erhielten die grünen Entwürfe von MDC und AMEC. Aber schließlich haben die Bürger nur Modelle gesehen, können von Fragen des Städtebaus nichts wissen und lassen Nutzungskonzepte wie wirtschaftliche Nachhaltigkeit außen vor. Das im Workshop diskutierte Für und Wider transparent zu machen, mit der Ausstellung die Chemnitzer tatsächlich in die Entscheidung einzubeziehen, wäre löblicher gewesen, und hätte den Wettbewerb auf einer soliden Basis fortgeführt. Stattdessen wurde das zukünftige Zentrum auf rationale acht Punkte gebracht, ungeachtet dessen, daß die Belebung vor allem Einwohner braucht. Meinungsvielfalt schließt doch letztlich die kompetente Entscheidung für einen der Bauherren nicht aus. Um so interessanter ist es, daß AMEC in die Offensive ging, eine eigene öffentliche Präsentation organisierte und sich so mit schlagenden Argumenten gegen das erzeugte Bild wehrt. Das Einzelengagement wirbt schließlich um Chancengleichheit vor den zukünftigen Innenstadtnutzern, denn plötzlich wirkt manch eine Beurteilung der Verwaltung weniger plausibel. Die eine Großstadtsilhouette verwerfende Holzmann-Euphorie wird dadurch relativiert, nur ein großer Vorteil bleibt offensichtlich: Dieser Investor hat schon reichlich am Gesicht der Stadt gebastelt, ein nochmaliger Aufguß dessen würde sich am besten eingliedern. Nach der Mitarbeit am Neefepark, dem Bau des Dorint-Hotels und der Alten Post wäre die Holzmann-Stadt eine logische Folge. Vielleicht hat aber auch die Idee gezogen, das Projekt in einer Nachtvariante vorzustellen. Chemnitz in der Grube, saß scheinbar da und… Hauptsache es vergißt jetzt keiner, das Französische Kulturzentrum zu bauen oder den Rosenhof aufzupeppen.

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Holzmann-Entwurf: Häuserblocks sind zwar chemnitztypisch, aber eine Großstadt ohne Skyline?

Chemnitz ohne Grube

Läuft die Baustelle Stadtzentrum auch ein wenig schwer an, so ist das Baggerwesen andernorts weit tüchtiger. Genau 336 sogenannte Aufgrabungen verzeichnete die zuständige Behörde im Dezember. Mal abgesehen von der Moritzstraße und jenem Loch, was sich da einst Contigalerie nennen soll, hält sich die Innenstadt jedoch asphaltbedeckt. Der Opernplatz kämpft immer noch um Anerkennung seiner Tiefenwirkung, ansonsten bleibt im City-Untergrund erst einmal alles beim sozialistischen Alten. Aber obenauf gibt es schon „neue“ Ideen. Verspiegelte Fassaden machten aus dem Interhotelriesen ein französisches Nachtlager und aus dem Mikroelektronikdomizil eine moderne Einkaufspassage. Das SED-Gebäude schien gar nicht so schlecht, da galt es nur einen Nutzer zu finden, der keinesfalls an Früher erinnert. Dennoch hat die Neuzeit nicht alle geplanten Trümpfe aus dem Ärmel gezogen. Erst kürzlich stellte das Architekturforum Chemnitz Ergebnisse eines internationalen Städtebau-Workshops vor. 14 Architekten aus Europa und den USA interessierten sich für das Bahnhofskarree. In der Diskussion um moderne Verkehrskonzepte zeigt sich die Stadt überhaupt sehr rege. Der öffentliche Nahverkehr ist sogar im europäischen Rahmen inzwischen einen Preis wert. Auch der Entschluß, das Straßenbahnnetz mit dem der Bundesbahn zu verbinden, wurde längst gefaßt, vom Bemühen um einen ICE-Anschluß ganz zu schweigen. Dem Bahnhof ist offensichtlich eine bewegte Zukunft beschieden, und mit dem Workshop sind nun erste Ideen in Umlauf gebracht. Zwar liegt den Projekten kein direktes Nutzungsvorhaben zugrunde, doch definieren sie vorab grundsätzliche Überlegungen: Die Angliederung des Busbahnhofes, eine direkte Verbindung zum Sonnenberg wie zur Straße der Nationen, und auch der Ausbau des Bahnhofsgebäudes zur Shopping- und Freizeitmeile. Sicher gehen noch Jahre ins Land, bis die vorliegenden Visionen als Ideenressourcen für ernsthafte Absichten genutzt werden können. Aber letztlich verspricht ein langes Währen noch immer gute Lösungen.

In Chemnitz wird die Innenstadt bebaut. Viele sind beteiligt. Ein heisser Herbst steht uns bevor.
In Chemnitz wird die Innenstadt bebaut. Viele sind beteiligt. Ein heisser Herbst steht uns bevor.

Viele Grüße aus Karl-Marx-Stadt! Jener Schriftzug wurde inzwischen geändert. Doch beruhigend ist auch, daß der Baudezernent Bela Dören verspricht: Auf ein paar Innenstadt-Motive der alten Ansichtskarten behält Chemnitz das Copyright. Auch wenn der neue Name zukünftig weniger nach einem Werbegag klingen wird, sollen die Menschen in vielen Jahren noch sagen können: Karl-Marx-Stadt war gar nicht so schrecklich gebaut. Zukünftige Generationen behalten folglich die Chance, mit ein wenig sozialistischer Altstadt zu prahlen.